Frank Rohde, vor fast genau 20 Jahren fiel in Berlin die Mauer. Sie spielten damals beim BFC Dynamo. Wo waren Sie bei diesem historischen Moment?
Wir hatten frei und ich hatte mit der Familie geplant nach Potsdam zu fahren. Ich kann mich erinnern, dass wir dort im Hotel saßen und die Bilder im Fernsehen sahen. Meine Frau wurde ganz hektisch, sie wollte unbedingt mal rüber machen, weil sie den Westen noch nie erlebt hatte. Ich war ja durch unsere Auswärtsfahrten im Europapokal schon häufiger drüben gewesen. An der Oberbaumbrücke in Friedrichshain war eine riesige Schlange an Autos, es war die Hölle los. Da wollte ich nicht ewig warten, so bin ich auf die Gegenspur und wurde für kurze Zeit zum Geisterfahrer. In West-Berlin haben die Leute dann unseren Kindern Bonbons und Schokoriegel ins Auto gereicht.
Was haben Sie in West-Berlin gemacht?
Meine Frau ist gleich losgerannt mit meinem Sohn Ronny, der war damals sieben Jahre alt, und hat sich alles angeguckt. Ich habe meiner kleinen Tochter erstmal ein Eis gekauft. Dann hatte ich meine Kleine auf dem Arm und wir haben zusammen die Menschen beobachtet. Ich fand es erstaunlich, wie sich die Leute haben gehen lassen.
Wann haben Sie das letzte Mal Erich Mielke gesehen?
Als wir 1988 Meister wurden. Da kam er nach dem Spiel in die Kabine, hat mit uns Sekt getrunken und uns gratuliert. Später kam er dann auch auf unsere Meisterfeier. Jeder Spieler stieg durch den Erfolg eine Stufe in seinem Dienstgrad auf. Ich wurde von Mielke am Ende zum Oberleutnant befördert. Das war das höchste, was ich als Fußballer erreichen konnte. Das Einzige, was sich dadurch änderte, war, dass ich mehr Geld bekam. Mehr nicht. Ich hatte ja nicht mal eine Uniform. Einmal sind wir zum Schießstand gefahren und machten Schießübungen. Ich traf nicht mal die Scheibe und meine Mannschaftskameraden lachten sich schlapp. Wir waren eben Fußballer und nur auf dem Papier Polizisten.
Der BFC galt als der „Stasiklub“. Wurde der Hass auf die Mannschaft nach dem Mauerfall noch intensiver?
Klar, wir waren der böse Stasiverein. Es gab ein Hallenturnier in Berlin zu Weihnachten, da wurden wir bespuckt und angepöbelt. Das war schon hart. Wir waren wie Freiwild. Man durfte sich natürlich nicht provozieren lassen. Auch bei Auswärtsspielen in Aue, Rostock oder Bischofswerda brandete immer Hass auf. Wir hatten die meisten Titel, wir hatten die besten Spieler. Wir waren einfach die Gejagten.
Setzten Sie sich mit der Politik des SED-Regimes auseinander?
Ich war Nationalspieler und hatte wöchentlich fast immer drei Spiele. Ich hatte gar keine Zeit mich damit auseinander zu setzen. Trainingslager, Lehrgänge, Länderspiele – ich war ja auch kaum zu Hause. Mein ganzer Rhythmus war zu 100 Prozent auf Fußball fixiert. Es ging auch gar nicht anders. Für andere Sachen hatte ich keinen Kopf.
Sie waren nicht als „IM“ tätig?
Die Stasi hatte es oft versucht, nicht nur einmal. In irgendwelchen Hinterhöfen wollten die mich überreden. Ich lehnte aber ab. Natürlich war das nicht leicht. Anschließend durfte ich niemandem erzählen, dass diese Gespräche stattgefunden hatten.
Die Nationalspieler um Andreas Thom kamen erst Tage nach dem Mauerfall zurück vom EM-Qualifikationsspiel gegen Österreich. Wie erlebten Sie deren Rückkehr?
Andy erzählte, dass ihn sehr viele Spielerberater im Hotel-Foyer in Wien angesprochen hätten. Das muss für die Verantwortliche der DDR-Mannschaft eine sehr schwierige Situation gewesen sein, denn diese Berater quatschten ja alle an. Später stand dann Reiner Calmund bei Andreas auf der Matte mit einem Koffer voll Geld. Da rief er mich an…
…weil ihm etwas mulmig wurde?
Er war sehr unsicher und wusste nicht was er tun sollte. Und ich war damals Kapitän beim BFC. Ich sagte zu ihm, dass er das Geld nicht annehmen solle. ´Lass dich nicht über den Tisch ziehen und unterschreib keinen Vorvertrag’, habe ich ihm gesagt. Calmund ist dann wieder abgedampft…
…ließ aber nicht locker.
Ende November bin ich dann als seelischer Beistand mit Andreas zu den Vorverhandlungen nach Leverkusen. Wir fahren also zum Flughafen Tegel. Und wer sitzt im Flugzeug nach Köln? Calli. Der Dicke überließ wirklich nichts dem Zufall, der hatte Andy quasi in Manndeckung genommen. Der Bayer-Manager wusste: Billiger wird er einen solchen Topmann nie wieder kriegen.
Was passierte vor Ort in Leverkusen?
Calli hatte natürlich alles arrangiert. Zunächst sind wir in einen Sportshop gefahren und er hat Taschen voll gemacht für meine Kinder. Da nahm ich ihn zur Seite und sagte zu ihm: ´Ich mach hier nicht den Hampelmann. Ich lasse mich nicht bestechen. Die Entscheidung liegt nur beim Andy.’ Später besichtigten wir das Trainingsgelände und Andy setzte sich mit dem damaligen Bayer-Trainer Jürgen Gelsdorf zusammen. Calmund sagte Jahre später zu mir: ´Wenn ich gewusste hätte, wie du beim HSV einschlägst, dann hätte ich dich damals gleich mit verpflichtet.´
Wie kam Ihr Wechsel nach Hamburg zustande?
HSV-Abwehrchef Ditmar Jacobs hatte sich bei einem Derby gegen Bremen einen Karabinerhaken ins Kreuz gejagt, seine Karriere war beendet. Die Hanseaten suchten einen erfahrenen Spieler als Ersatz. Wir trafen uns in einem Westberliner Hotel und regelten dort die Formalitäten. Danach rief mich Thomas Doll an, der gerade in Verhandlungen mit Dortmund stand. Dort gefiel es ihm aber nicht. Ich erzählte ihm von meinem Wechsel zum HSV und er war als Norddeutscher sofort Feuer und Flamme. Uwe Seeler war ohnehin ein Fan von Thomas. Ich erzählte das meinen Kontaktmännern vom HSV und vier Tage später unterschrieb Dolli in Hamburg.
Hatten Sie bei den Verhandlungen einen Berater dabei?
Auf solche Krawattenträger hatte ich keinen Bock. Kurz nach der Wende kamen reihenweise windige Spielerberater aus Westberlin zum BFC und machten den Jungs Angebote. Für mich waren das alles Sonnenanbeter und Heißluftballons. Die hatten keinerlei Position, wollten aber die schnelle Mark machen. Ich hatte meine Vorstellungen, die teilte ich dem HSV mit, dann wurde verhandelt und später einigten wir uns auf einen Dreijahresvertrag. Ich bekam eine Wohnung, einen Mercedes. Was Besseres konnte mir als 30-jähriger Fußballer gar nicht passieren.
Wie fällt rückblickend Ihr Fazit über die Zeit in Hamburg aus?
Lehrreich und intensiv. Wir spielten eine gute Saison, kamen überraschend in den UEFA-Cup. Aber die Presse schoß trotzdem gegen mich. Für die war ich der Stasi-Offizier vom BFC. Die „Bild“ hat mir sogar eine Woche lang eine Kolumne gewidmet. Daraufhin wurde mein Sohn in der Schule als „Stasi-Schwein“ beschimpft. Ich bin dann in die Schule gefahren und habe zu dem Direktor gesagt, dass ich mit den Jungs ein Training machen will. Die „Bild“ schickte einen Fotografen. Von da an hörten die Diffamierungen langsam auf.
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